Wer war eigentlich Antje Øklesund?
 
   
   
 
 
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Kapitel II

er Wald wurde plötzlich erschüttert von lautem Husten, das ganz und gar nicht mehr zur Geschichte passen wollte. Antka blickte sich noch einmal fragend um und verschwand vor meinen Augen in einem leichten Nebel, der sich in ein leuchtendes Rot auflöste. Vor mir sah ich das rot glühende Gesicht von Herrn Ingvasson, das bei jedem Hustenanfall an Farbe und Umfang zuzunehmen schien. Er kippelte auf seinem Stuhl und federte wild mit den Armen auf und ab, während krächzende Laute seine Kehle verließen.

ch brauchte einen Moment, um die Situation zu erfassen. Ted sprang wild bellend um uns herum und verhedderte sich dabei an der Tischdecke. Huth glotzte mich mit großen Augen an, während die Tassen samt Kanne auf den Steinfußboden zurasten und klirrend in tausend Teile zerprangen. Herr Ingvasson schien etwas sagen zu wollen, das sich jedoch in seiner Kehle und im ganzen Tumult verlor. Huth war aufgesprungen und schlug ihn mit der flachen Hand auf den Rücken, aber der wedelte nur noch wilder mit den Armen. »Wasser, wir brauchen Wasser, raste es mir durch den Kopf.« Aber nun hatten wir ja grade alle Tassen zerdeppert. »Nein, Neiiiiin« zischte Herrn Ingvasson. Alle logischen Gedanken schienen sich umeinander zu wickeln zu wollen wie feuchte Wäsche im Schleudergang. Im ganzen Tumult bemerkte niemand das junge Mädchen, das scheinbar wie aus dem Nichts plötzlich auf der Terrasse stand, an den hustenden alten Mann herantrat und ihm eine kleine Dose mit einem Aerosol reichte. Herr Ingvasson umklammerte die Dose, nahm zwei tiefe Hube und langsam begann sein Gesicht wieder, sich zu entspannen und eine etwas normalere Färbung anzunehmen.

»Wer sind diese Männer?« fragte das Mädchen. Aber es klang eher so wie: »Wer sind denn diese Idioten?« Wir mussten von weitem ausgesehen haben wie ein tobender Haufen von Laienschauspielern, die ein surreales Theaterstück aufführen wollen, in Wirklichkeit jedoch nur Chaos und Zerstörung mit sich bringen.

Es war mir sichtlich unangenehm, dass der Höhepunkt dieser Auftritte auch gleichzeitig als Ritual der Neuvorstellung gegenüber Fremden dienen musste. Ich reichte der Unbekannten meine Hand: »Ich heiße Tobi und das ist mein Freund Huth, wir sind hier auf der Durchreise und haben hier per Zufall Herrn Ingvasson kennen gelernt.« Herr Ingvasson schaltete sich ein: »Naja, per Zufall kann man das natürlich auch nennen. Setz dich, mein Kind, ich war grade dabei, die Geschichte deiner Ur-Uroma zu erzählen, als ich einen Hustenanfall bekam. Darf ich übrigens vorstellen, das ist Anika, meine Enkelin.«

ch schaute Anika lange an, während Herr Ingvasson sprach, vielleicht zu lange, als dass sie es nicht bemerkt hätte. Sie sah nicht so aus, wie man sich eine Schwedin vorstellt. Sie hatte schulterlanges, kastanienbraunes leicht gelocktes Haar und eine Haut wie aus Michkaffee. Ihre schmalen Gesichtszüge, ihre vollen Lippen und ihre leicht gebogene Nase hatten etwas Aristokratisches an sich. Sie schien nicht von sonderlich großer Statur zu sein und alles wirkte an ihr sehr zierlich, fast zerbrechlich. Sah so Antje Øklesund aus?
»Und wer macht das hier jetzt alles weg?« hörte ich Anika fragen und ihre grünen Augen blitzten mir entgegen. Huth hatte Ted derweilen von der Terrasse geschoben und suchte etwas, womit er die Scherben zusammenklauben konnte. »Lass nur, mein Kind, ich werde schnell neues Geschirr besorgen.« meinte Herr Ingvasson. Doch da kannte er Anika schlecht. »Du bist hier um dich zu erholen und du siehst, was passiert, wenn du dich nicht schonst. Du solltest Die etwas mehr Ruhe gönnen!« Huth und ich räumten schnell das Porzellan von der Terrasse und entschuldigten uns vielmals für den Vorfall. Herr Ingvasson bot an, dass wir uns am kommenden Nachmittag wieder zum Tee treffen könnten, sofern wir noch in der Stadt wären. Wir willigten ein, obwohl ich mir sicher war, dass es Anika nicht recht war und als wir die Terasse verließen hörte ich sie erneut fragen: »was sind das für Männer?« aber diesmal klang es nicht wie »Idioten«, sondern irgendwie anders.

uth, Ted und ich machten uns auf dem Weg zum Auto und suchten einen Platz ganz in der Nähe an einem kleinen Hügel gelegen, an dem wir unser Nachtlager aufschlugen. Ted rollte sich müde zusammen. Ab und zu schien er im Traum Tiere zu jagen. So lag er da, scharrte mit geschlossenen Augen mit den Pfoten und Hinterläufen und gab ein leises Jaulen von sich. Um uns herum zirpten die Grillen, während Huth und ich in die Reste unseres Lagerfeuers starrten. »Sag mal, was denkst du zu dieser ganzen Geschichte von Antje Øklesund?« fragte ich Huth.
    »Hmmm, der Mann hat ziemlich viel Phantasie, würde ich sagen.« »Aber meinst du nicht, da könnte was dran sein?«
»Kann ich schlecht sagen, aber ne kämpferische Ader hat Anika ja schon, oder?« »Kannst du wohl sagen, als die bemerkt hat, dass ich sie beobachte, was der Ofen sofort aus.« »Ich meine, wenn das tatsächlich stimmt, dann müsste es doch Unterlagen beim Bürgermeister geben. Wenn die hier begraben ist, müsste doch noch irgendwas über diese Dame zu finden sein, oder?«

So beschlossen die beiden, am folgenden Tag einmal beim Bürgermeister der Stadt vorbeizuschauen und genaueres herauszufinden. Huth und Tobi unterhielten sich noch eine Weile über die Ereignisse vom vorherigen Tag. Der Mond schien hell über ihren Köpfen und streichelte sie mit seinem fahlen Licht, bis sie in einen tiefen, erschöpften Schlaf fielen. Nachts wurde Huth von einem lauten Rascheln wach. »Tobi, hast du das gehört?« Doch Tobi gab keine Antwort. Das Rascheln wurde lauter und näherte sich immer mehr dem Zelt der beiden, bis es plötzlich erstarb und sich wieder völlige Stille breit machte. Huth zog vorsichtig den Reißverschluss ein kleines Stück auf und erstarrte. Vor dem Zelt stand eine Holzkiste. Huth löste den Reißverschluss und blickte um sich, aber er konnte weit und breit niemanden sehen. Vorsichtig betrachtete er die offene Holzkiste, deren Inhalt das fahle Mondlicht preisgab. In ihr lag, verstaubt und voller Löcher, ein kleines, blaues Kapuzenmäntelchen. >>>