Wer war eigentlich Antje Øklesund?
 
   
   
 
 
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Kapitel III

röstelnd betrachtete Huth die Kiste im fahlen Mondlicht und zog sie ein wenig näher an sich heran, um ihren Inhalt genauer betrachten zu können. Vorsichtig hob er das blaue Mäntelchen aus der Kiste, aus der ihm der staubige Geruch von trockenem alten Holz entgegenrieselte und seine Arme mit einem Schleier leicht bedeckte.
    »Nun schau doch mal, Tobi, es ist einfach unglaublich!« Und Tobi, dessen Nase nun auch langsam die Ausläufer der Staubwolke erreicht hatten, nahm leise schnarchend noch einige Züge, bis die kühle Zugluft durch sein lautes Niese schier zu explodieren schien. »(Hatschi)! Mein Gott Huth, was ist denn los?« fragte Tobi ihn schlaftrunken. »Das frag ich Dich mein Freund.«
    Er zeigte auf sein T-Shirt, das er zur Nacht trug und blickte in Huths verdutztes Gesicht, als dieser durch einen Schleier von Müdigkeit sah, wie er seine beiden Hände im Hemd von Tobi vergraben hatte. „Kannst Du mich jetzt bitte wieder loslassen und das Zelt zumachen?“ Huth rieb sich die Augen, gab Tobi einen freundschaftlichen Klapps und setzt sich auf die Seite, während das fahle Mondlicht einen letzten Gruß durch die Zeltplane schickte.

er Morgen grüßte mit einem feinen Trommeln dicker Tropfen, die auf der Zeltplane dumpf zerplatzten und in kleinen Bahnen von dem Nylon abperlten. So verbrachten unsere drei Helden - Ted unter dem kleinen Vordach, Huth und Ted im Zelt - einen geruhsamen Vormittag, bis der Himmel am frühen Mittag aufzog und die Sonne ihre strahlenden Boten auf den dampfenden Grasboden sandte.

Die kleine Truppe machte sich gemeinsam auf den Weg in die Stadt, vorbei an den gerade geschlossenen Bürgermeisteramt, dem blumenverzierten Marktplatz mit der steinernen Kirche, den Fisch- und Blumenverkäufern, den Gemischtwarenläden mit ihren reichhaltigen Angebot an Sirups und kleinen Destillationsanlagen für den Hausbedarf, vorbei an den letzten windschiefen Häusern des Ortes, in deren Gärten Fischer ihre Netze flickten, hinweg über Kopfsteinpflaster, über die feuchten Wiesen des alten Friedhofs, die schmatzend kleine Bläschen warfen. Langsam näherten sie sich dem festen Boden der steinernen Terrasse von Herrn Ingvasson, der bereits Pfeife rauchend im leichten Halbschatten der ihm umgebenden Bäume auf sie zu warten schien. Nach einer kurzen aber herzlichen Begrüßung setzen sich alle und Herr Ingvasson begann zu erzählen:
  
Antka war mit ihrer metallenen Rüstung, die in der Nachmittagssonne reflektierte, ihrem samtbestickten Sattel und ihren sporenbesetzten Stiefeln äußerlich kaum von einem Ritter zu unterscheiden. Sie saß stolz und aufrecht zu Pferde und ihr knappenhafter Haarschnitt, der jedem wackeren Kämpfer gut zu Gesicht gestanden hätte, wippte dabei leicht auf und ab. Ihre Satteltaschen waren gefüllt mit Proviant für einige Tage. Schwert und Schild, die ihr der Abt übergeben hatte, um sich im Notfall auch verteidigen zu können, trug sie dicht an ihrer linken Seite.
    Die warme Herbstluft und der Geruch von fallenden Laub, gärenden Früchten und Pilzen drang ihr aus dem dichten Wald entgegen. Antka schmiegte sich eng an ihr Pferd und immer wieder schlugen ihr Zweige und Äste auf ihren Pfad in Richtung Berge entgegen, der schon lange keinen Reiter mehr beherbergt hatte. Der Wind bewegte mit leisem Säuseln die Blätter des immer dichter werdenden Waldes, zwischen denen Sonnenflecken wild tanzten und auf den moosig-morastigen Boden helle Flecken bildeten.
Immer wieder dachte Antka an die Worte des Abtes, keine ›Aventüre‹ zu suchen und sich nicht aus falschem Stolz leichtfertig Zweikämpfen hinzugeben. Aber ihre Gedanken kreisten um das blaue Mäntelchen, mit dem sie damals als kleines Mädchen in der Holzkiste an der Küste Südnorwegens gelandet war. Oft hatte sie darüber gegrübelt, woher sie gekommen sein mag. Der Abt hatte gemeinsam mit ihr die Strömung des Meeres betrachtet und Überlegungen angestellt, welchen Weg die Kiste genommen haben mag und wie lange sie auf Meer gewesen sein kann. Und Antka hatte das Kleid immer und immer wieder auf Zeichen untersucht, die ihr etwas über ihre Herkunft erzählen konnten. Es war aus wunderbar blauschimmernder Seide, einem Stoff, den sie kein zweites Mal fand, so kunstfertig vernäht und von solch einer ausgezeichneten Qualität, wie es nur in Königshäusern üblich ist. Nur – welcher König übergab sein Kind dem Meer und ließ das Schicksaal über ihr Leben entscheiden. War sie das Ergebnis einer verbotenen Liebschaft, eine Nachfahrin einer unterdrückten Herrschaftsriege, denen Nachkommen untersagt waren, oder war es ihre Bestimmung, erst die vor ihr liegenden Abenteuer zu bestehen, um zu ihrer eigentlichen Welt zurückzukehren. War es ...

in Ast schnellte ihr gegen den Kopf und warf Antka von dem sich aufbäumenden Pferd auf den bemoosten Waldboden. Die Rüstung schütze sie dabei vor Verletzungen, aber sie brauchte einen Moment, um sich zu fassen. »Sei wachsam« hatte der Abt ihr eingeschärft. Gedankenverloren war Antka durch den Wald geritten und nun blickte sie einem Kind ins Gesicht, dass sie mit ihren alten Augen anstarrte. »Was machst Du hier?« Antka setzt sich schnell auf und umschloss ihr Schwert mit einer Hand. Das war kein Kind, was ihr da entgegenblickte. Es erschien klein und zerbrechlich, aber das Gesicht war zerfurcht wie das einer alten Frau und die Haare hingen zottig vom Kopf herunter.
    »Ich bin Antka, Nachfahrin eines Königshauses und Zögling vom Kloster Sanctae Mariae. Und wer wagt es, mich herauszufordern?« »Dein Name, sei gewiss, ist mir schon lange ein Begriff, Deiner Herkunft ungewiss, suchst Du schon lange zu lösen dieses Rätsel. Es wird sich öffnen einst eine Tür, Blau beschlagen mit den Köpfen der Wölfin vier. Noch weit wirst Du reisen, doch verlange nicht viel, erkenne das Rätsel, denn in Dir liegt das Ziel.«
    Antka erschrak: »Wer bist Du und woher kennst Du mich?« »Wir Bewohner des Waldes kennen Dich gut, doch sei vor dem Edlen auf der Hut.« Das alte Kind streckte ihr eine Glockenblume entgegen. »Doch bist Du einmal in Gefahr, dann nimm diese Blume und Hilfe wird Dir gewahr.«
Als Antka die Glockenblume aus der Hand des alten Kindes ergriff, verschwand sein Antlitz vor ihrem Gesicht. »Halt, warte, wer bist Du?« Doch die einzige Antwort, die sie bekam war die des Kuckucks, dessen Echo noch weit durch den Wald klang.

Fortsetzung folgt …